Ach ja, der Sommer schaut doch noch kurz vorbei – wer hätte es gedacht! Also los, es gibt viel zu tun: Sommeraktivitäten wohin man schaut und ein hoher Nachholbedarf. Ich mache mich auf zum Sommerkonzert. Im Park, unter freiem Himmel. Die Plastikstühle sind gestellt, man schwitzt und wedelt sich gegenseitig Luft zu. Da endlich erscheinen die Musiker auf der Bühne. Der erste Ton schwingt sich zur Zuschauermenge und alle sind gespannt, welche Melodien sich als Ohrwurm noch am nächsten Tag bemerkbar machen werden.
Heute hat es sich so getroffen, dass ich ganz hinten sitze und einen herrlichen Blick auf die Menge vor mir werfen kann. Denn nicht nur die tanzenden Noten, die flinken Finger des Violinisten und die klagenden und seufzenden Geigen werden mich heute an diesem Konzert in ihren Bann ziehen.
Da ist zum Beispiel die gestresste Mutter ganz vorne links, die ihrem Kind schon gefühlte zwanzig Mal den auf den Mund gelegten Finger gezeigt hat und trotzdem von ihrer Nachbarin ein genervtes «Pssssst» erntet. Das Kind kann mit den sich immer höher schwingenden Geigentönen jedoch kaum etwas anfangen und schaukelt gelangweilt, aber doch intensiv, mit seinen Beinen. Dies irritiert dessen Sitznachbar bis ins Mark und ich sehe, wie seine verschränkten Fingerknöchel langsam weiss anlaufen.
Ein bisschen weiter mehr rechts sitzt eine ältere Dame, die ihren ganz eigenen Kampf führt. Denn munter zum Takt des Ensembles summen lästige Fliegen um ihre Beine und setzen sich hin und wieder kitzelnd auf deren blossen Waden. Mit Effort schlägt die Dame mit ihrem Programmheft in regelmässigen Abständen auf ihre traktierten Beine ein. Dies jedoch natürlich nicht im Takt der Musik, obwohl auch diese langsam einen flotten Rhythmus angenommen hat. Mehrere Zuhörer:innen drehen sich nach der leidenden Dame um, aber auch deren Blicke helfen nichts gegen die nervenden Plagegeister.
Weiter vorne rutscht ein Herr unangenehm auf seinem Plastikstuhl hin und her, denn der Schweiss läuft ihm in Bächen von seiner Glatze, über Nacken, weiter ins Revers seines Kragens und findet den Weg im hellen Hemd seinen Rücken hinunter. Trotz Abtupfen des schwitzenden Kopfes mit dem Taschentuch schwimmt der geplagte Herr auf seinem Klappstuhl. Obwohl heute gar nicht das Stück «die Forelle» von Schubert gespielt wird.
Der Hustenanfall einer Frau bringt in etwa genau gleich viel Unruhe in die Szenerie wie die am Park vorbeiknatternden «Töfflibuebe» auf ihren extra für den Sommer frisch polierten, getunten und mit Loch im Auspuff versehenen Gefährten. Ein Ohrenbetäubender Lärm, welche die Musiker einen Moment lang in Statisten verwandeln lässt, und wie es scheint, nur so tun, als würden sie gerade die schönste Melodie der Welt spielen.
Es wird immer dunkler im Park und die blaue Stunde ist längst vorbei. Für die Spieler werden eilig kleine Lampen für deren Notenständer herbeigetragen. Nur schade, dass die musizierenden Künstler nun genau so aussehen, wie damals, als meine beste Freundin in der dritten Klasse, mit unter das Kinn gehaltener Taschenlampe, Horrorgeschichten erzählt hat. Nun ja, wir sind ja auch fürs Hören und nicht fürs Gucken da.
Zum Abschluss applaudiert die Menge begeistert und tauscht sich dann beim nachfolgenden Apéro angeregt zum Gehörten aus. Ich aber mache mich glücklich und inspiriert auf den Nachhauseweg und kann es kaum erwarten, mein abendfüllendes Erlebnis zu Papier zu bringen.Ob mir denn die Musik überhaupt gefallen hat, fragst du? Aber ja, denn mein Fuss hat im Takt geschaukelt, meine Stimme hat mitgesummt, der Kopf gewippt und die Finger haben zur Musik verträumt auf die Knie getippt. Oje, jetzt wird mir plötzlich auch ganz klar, warum meine Sitznachbarn die Plätze in der Pause gewechselt haben…😉
Nun wünsche ich auch dir viel Spass bei deinen Sommeraktivitäten, deine Christine
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