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Kolumne Nr. 7 - "Wie geits dir?"

Noch vor einem Jahr war es normal, dass wir uns bei der Begrüssung locker gefragt haben «Tschou, wie geits dir?». Die Antwort darauf war in 99% «Merci, guet. U dir?». Die eigentlich so wichtige Frage, war meist eine Floskel, denn in wie vielen Fällen wollten wir wissen, wie es unserem Gegenüber wirklich geht? Falls nicht das erwartete «Merci, guet.» kam, erschrak man beinahe ein wenig oder war zumindest irritiert. Ein Themenwechsel stand an, wenn der Gesprächspartner antwortete, dass es ihm momentan nicht so gut gehe, er es gerade sehr streng im Job oder eine Operation vor sich habe. Über Krankheiten wollte man schon gar nicht gerne sprechen, das verdirbt einem ja die Stimmung… Ein knappes «Merci, guet.» war eigentlich gut und recht.


Heute empfinde ich persönlich dies ganz anders. Nur ein knappes Jahr später, ist es ok, wenn man sagt «Du, es geht mir gerade nicht so gut. Diese Zeit hängt mir an und ich weiss kaum noch, wie ich damit umgehen soll». Oder: «In meiner Familie hatten wir mehrere Krankheitsfälle und es hat das ganze Umfeld stark belastet.». Oder: «Ich fühle mich gerade sehr allein, da ich niemanden treffen darf. Das stimmt mich traurig und ich fühle mich antriebslos.». Das Gegenüber hat nun meist ein offenes Ohr und ist wirklich interessiert an den Aussagen seines Vis-à-vis. Da man selbst meist auch in irgendeiner Form in dieser Zeit gefordert ist, ist der Austausch mit anderen sehr wertvoll geworden. Man hat nun auch viel mehr tröstende Worte für den anderen und auch das Mitgefühl für die Situation des Gegenübers ist gestiegen. Plötzlich können wir fühlen, wie es dem anderen geht. Wir haben Verständnis für seine Depression, seine Ängste und seine Zweifel.


Was genau ist in dieser kurzen und intensiven Zeit passiert? Was hat uns von mässigem Interesse zu wahrem Mitgefühl gebracht? Kann es sein, dass in Krisenzeiten auch das Miteinander gestärkt wird? Denn obwohl nebst all den Spaltungen durch verschiedene Meinungen und Haltungen beobachte ich ein starkes Verlangen nach Gemeinschaft. Ich empfinde es als Geschenk, auf die Frage «Wie geits dir?» ehrlich und offen antworten zu dürfen. Dazu gehört für mich nicht konstantes Jammern (meist auf hohem Niveau, wenn wir ehrlich zu uns selbst sind), doch zuzugeben, dass gerade nicht alles rosig ist und zu meinen Gefühlen zu stehen, erlaubt mir, authentisch zu sein.

Momentan ist Geduld und Flexibilität gefragt. Das fordert uns alle. Doch wir können eine Stütze füreinander sein: Ob ein handgeschriebener Brief, eine kleine Aufmerksamkeit oder einfach ein offenes Ohr am Telefon. Gerade dann, wenn ich selbst jemanden brauche, der mir zuhört, macht es Sinn, jemand anderen zu fragen «Wie geits dir?». Es ist erstaunlich, wie schnell sich die eigene Stimmung und jene des Gegenübers sich dabei hebt und das Gemeinschaftsgefühl tiefe bekommt.


Wie geht es dir gerade? Schreib mir doch über die Redaktion und erzähl mir, was dich gerade beschäftigt. Ich freue mich sehr darauf, von dir zu lesen.

Deine Christine Vogt

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